EMW R70
Geschichte meiner EMW R70/ AWO 700
H-P Hommes
Nach der Wende:
Der Chef eines Kabelverlegungsunternehmens entdeckt bei Arbeiten in der
ehemaligen DDR Anfang der 90er Jahre auf einem Bauernhof eine "BMW R75" mit
einem seltsamen Motor und kauft sie.
Der Verkäufer gibt an, dass Gespann sei zwar
als BMW R75 zugelassen, aber das sei ein Prototyp von EMW.
Wie er an das
Gespann kam, ließ sich vorerst nicht klären.
Der neue Besitzer erkennt am Motor, dass es eine der angeblich nicht
mehr existenten Prototypen-Gespanne aus Eisenach sein muss und versucht
dieses als AWO 700 zu verkaufen.
Kaufinteressenten wollten von der "verbastelten R75"
jedoch nichts wissen, da der Verkäufer für sein einmaliges Fahrzeug auch
einen guten Preis erwartet.
Ich besichtige das Motorrad 1998 und erkenne,
dass dies der Motor ist, von dem ich bei Recherchen zu einem Buch über die
BMW R75 in einem Staatsarchive Zeichnungen gefunden hatte, die aber nicht zu
einem mir bekannten Motor von BMW zuzuordnen waren.
Recherche zur BMW R75 von mir im
Eisenacher Archiv:
Im Zug meiner Recherche war ich 1996 auch in dem Eisenacher
Stadtarchive vorstellig geworden und hatte nach Unterlagen über die BMW R75
gesucht.
Da das Stadtarchive renoviert wurde, waren alle Unterlagen in der jetzigen
Museumshalle der ehemaligen BMW-Werke untergebracht.
Über die BMW R75 gab es nur einen ganz kleinen Ordner. Ich entdeckte aber
eine Ordner mit der Aufschrift BMW 286/1.
Der Archivar war der Ansicht das diese Ordner nichts über Motorräder
enthalten würde.
Jedoch 286/1 war mir bekannt als die Typenbezeichnung für
den BMW R75 Seitenwagen.
Ein Blick in die Ordner bestätigte dann meine Vermutung. Jede Menge
Zeichnungen über den Seitenwagen der BMW R75 den so genannten BW 43.
Allerdings fand ich dort auch Zeichnungen zu einem Motor, der mir unbekannt
war und zu keinem mir bekannten BMW Motorrad gehörte.
Obwohl hier eine BMW Nummer vermerkt war. 275 3 xxx die auf die BMW R75
hindeutete passten die Zeichnungen nicht zu einem mir bekannten Motor.
Die
Technischen Zeichnungen der BMW R75 waren in der Nummer geändert. Bei 275 0...
war die Null ausgekratzt und durch eine 3 ersetzt worden.
Die alten vorhandenen Zeichnungen der BMW R75 waren einfach auf
275 3 ... umgeändert worden, um darzustellen: Wir haben das selbst
entwickelt, dass ist nicht gleich mit der BMW R75 oder 275 2 ...
Auf anderen Zeichnungen, die einen mir damals unbekannten Motor
betrafen, ist ein Stempel aufgebracht mit der Aussage: "Diese Zeichnung
unterliegt nicht dem Änderungsdienst".
Da musste nicht gekratzt und
überzeichnet werden mit einer 3, dies waren wirkliche bei EMW erfolgte
Eigenentwicklungen.
Ich habe dann doch einige Kopien gezogen von diesen Zeichnungen um
abzuklären worum es sich handeln könnte.
Erst als ich die "verbastelte BMW R75" mit dem mir unbekannten Motor später
dann sah, erkannte ich, dass ich diesen Motor bereits als Zeichnung einmal
gesehen hatte.
Ein kurzes durchwühlen meines Archivs brachte dann die Gewissheit.
Es war mir keine verbastelte BMW R75 angeboten worden, sondern eine der
angeblich nicht mehr existierenden EMW R70 die als Versuchsfahrzeug bei AWO
gebaut wurde.
Ein Foto vom Teterower Bergring mit einer EMW
R70/AWO700 und dem Hinweis auf den Fahrer, Oberleutnant Neumeister.
Ein Foto mit diesem Motor wird von mir gefunden und der Fahrer, ein
ehemaliger Oberleutnant der NVA ausfindig gemacht.
Da Neumeister ein bekannter Geländefahrer in der DDR war, ist dies relativ
leicht gewesen.
Ich führe mehrere Telefonate mit ihm und er kann sich gut an die seiner
Einheit zur Erprobung übergebenen Gespanne erinnern und nannte mir eine
Menge Details über diese Gespanne..
Weitere Informationen
zu meinem Gespann ergeben, dass es sich tatsächlich um eines der damals in den 50er Jahren
hergestellten Versuchsmodelle der EMW R70 handelt.
Es ist die einzige
komplett EMW R70, die noch erhalten ist.
Auf schriftliche Anfrage an das Simson Werk nach der Wende.
Frage:
Haben Sie Unterlagen zu einer AWO 700?
Antwort:
Nie von einer AWO 700 gehört, so ein Motorrad wurde auch nach unseren Archiv-Unterlagen hier nie gebaut.
Telefonische Nachfrage bei leitendem Angestellten. bei Simson (AWO)
Ihm war es seltsam, dass ich auch nach einer AWO 700
fragte, da vor ein paar Jahren, noch zu DDR Zeit, jemand aus Schweden
Ersatzteile für einen 700 ccm Boxer Motor haben wollte, der angeblich bei
Simson hergestellt worden war. Schriftverkehr mit dem Schweden ist aber
nicht mehr vorhanden.
Aber auch damals habe man nur sagen können, dass so
ein Gespann ähnlich BMW R75 nie hier bei Simson gebaut wurde.
Monate später kommt ein Schreiben von Simson.
Leitender Angestellte schreibt:
Wir hatten jetzt eine Betriebsfeier und dort waren auch einige
ehemalige Mitarbeiter, die bereits Rentner sind.
Ich habe dort mal
nachgefragt und zu meinem Erstaunen ergab es sich, dass es stimmt.
Hier
wurden in den 50er Jahren in einer geheimen Entwicklungsabteilung eine Anzahl von Versuchsmotorräder in
Kleinserie mit 700 ccm und Boxermotor gebaut.
Mehrere der Rentner bestätigten, dass eine AWO 700, wie
sie hier intern genannt, gebaut
wurde.
Die gesamte Entwicklungsarbeit sei von EMW erbracht worden.
Es war
alles auf Basis der BMW R75.
Der Motor war eine eigene Entwicklung unserer
Leute in Eisenach.
Man habe in einer geheimen und abgetrennten Abteilung so
um die 10 Gespanne und einige Motoren mehr gebaut.
Es war eine militärische
Entwicklung und nur zuverlässige Mitarbeiter, die zur Geheimhaltung
verpflichtet waren, durften daran arbeiten.
Die Armee habe eigene Ingenieure zur Überwachung geschickt.
Die haben auch
alles, als es fertig war, abgeholt. Einschließlich aller Werkzeuge,
Zeichnungen einfach alles was das Gespann betraf.
Danach hat man von dem
Gespannen nichts mehr gehört. Wir waren der Meinung das die Entwicklung des
Gespanns für die Russen war.
März 2008
Ich erhielt einen freundlichen Anruf eines älteren Herrn, der diese Seite im
Internet mit Interesse gelesen hatte.
Er kenne einen ehemaligen Besitzer
solch eines Gespanns, der in der Nähe von Dresden lebe.
Er gab mir nach
Rücksprache mit dem Herrn dessen Telefonnummer.
Was sich dann zu
meiner Freude herausstellte war, dass er der frühere Besitzer meiner EMW R70
ist.
Er
hatte Fotos der EMW R70 und was für mich noch überraschender war, er besaß das original
Typenschild, was er damals, aus welchen Gründen weiß er nicht mehr, als
Erinnerung behielt.
An meiner AWO fehlte dies, auch habe ich keine
Fahrgestell Nr. gefunden. Aber einen Buchstaben und eine Zahl -V4 -.
Das
Typenschild hat genau diese Angaben.
V = Versuchsfahrzeug und die 4 für das
vierte Fahrzeug.
Hier
ein kurzer Bericht aus der Historie seines EMW R70 Gespanns.
Ende der 60er Jahre, ich war damals Student, habe ich in Zwickau ein großes,
schwarzes vermeintliches BMW Gespann gekauft.
Das Motorradgespann war in einem
sehr guten technischen Zustand.
Der Vorbesitzer erzählte mir, dass es von diesem
Gespann nur einige wenige geben würde und die Vorbesitzer zuerst die KVP
(Kasernierte Volkspolizei) und dann die GST (Gesellschaft für Sport und Technik)
gewesen seien.
Dort habe man das Gespann benutzt, um Jugendlichen etwas
Fahrunterricht zu geben und an die Technik heranzuführen.
Er meinte auch, dass
dieses Gespann aus einer eigenen Produktion der DDR in kleiner Serie sei.
Bei
minimalen Pflegeaufwand, wie Ölwechsel und Ventilspielkontrolle wurde das
Motorrad viele Jahre von mir gefahren.
Vornehmlich habe ich es für
Urlaubsfahrten aber auch für den Transport von schwerem Baumaterial benutzt.
Auch in Schnee und Eis habe ich Fahrten im Erzgebirge unternommen, ohne dass
jemals ein größerer Schaden aufgetreten ist.
Als Kraftstoff habe ich oft dem
Benzin bis zu 50% Waschbenzin hinzugefügt, was der Motor klaglos akzeptierte.
Ich habe aber in all den Jahren nie ein anderes Gespann dieser Ausführung bei
uns in der Republik gesehen oder davon gehört.
Als
ich dann einen PKW Trabant erwerben konnte, habe ich das mittlerweile äußerlich
stark ramponierte aber immer noch fahrbereite Gespann an jemanden verkauft, der
im Norden der Republik in der Nähe von Rostock wohnte. Das Typenschild habe ich
aus irgend einem Grund behalten und bis heute aufbewahrt.
Ich habe auch noch das
Werkstatthandbuch der BMW R75 in meinem Besitz.
Da war zwar nichts über meinen
Motor drin, aber sonst war das Buch sehr hilfreich.
Fahrbericht 2007
H-P Hommes
Nachdem das Zündmagnet der EMW R70 überholt und neu
magnetisiert wurde war sie dann bereit anzuspringen.
Der Motor läuft etwas rau.
Dies ist aber nicht konstruktionsbedingt, sondern da ich den Motor nicht zerlegt
habe und alles dort noch im Originalzustand ist, ist dies wohl altersbedingt.
Hört sich im Leerlauf so an als sind die Pleuellager nicht mehr die Besten.
Sie
fährt sich wie eine BMW R75 allerdings ist der Motor etwas leistungsstarker.
Das
merkt man beim Beschleunigen.
Auf dem Treffen in Brisighella in Italien hab ich die EMW R70
über mehrere Tage gefahren.
Sie läuft zuverlässig, springt gut an und hielt bei
einem Geschwindigkeitstest mit anderen BMW R75 problemlos
mit.
Ich konnte diese zwar nicht überholen aber die gleiche Geschwindigkeit
brachte die EMW locker.
Das verkürzte Boot bring echte Vorteile im Gelände.
Wie oft haben wir mit der
BMW R75 die vordere rechte Packtasche abgefahren und das Boot in den Boden gerammt.
Das passiert bei dem verkürzten Boot nicht. Allerdings hat man sich eine mistige
Hebelkonstruktion ausgedacht um das Boot zu öffnen. Da klemmt man sich schnell
gewaltig die Finger.
Da war das Steib Boot viel besser gebaut, aber dafür konnte
die Klappe nur knallend laut geschlossen werden.
Der Tank ist etwas eckiger gebaut. Das kann aber auch daran liegen, dass man ihn
von Hand hergestellt hat.
Das Getriebegehäuse ist in einer neuen Form gegossen
worden. Oben fehlt im Guss die plane Fläche für den Getriebeluftfilter.
Auch die
vordere Bremsankerplatte ist aus neuer Form.
2009-2010 als Leihgabe im Museum in SUHL
Für eine Sonderausstellung habe ich meine EMW R70 - AWO 700 als Leihgabe
an das Motorradmuseum in Suhl gegeben.
Etwas verärgert war ich als ich die EMW R70 zurückerhielt und man mir dazu einen
kleinen Ausstellungskatalog überreichte.
Die EMW wurde mir Top gepflegt
zurückgegeben. Das war es nicht.
Aber in dem Ausstellungskatalog war meine EMW/AWO
mit einer neuen Geschichte versehen.
Angeblich wäre diese AWO aus Litauen oder
Lettland wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Diese Historie stimmt aber total
nicht.
Da standen nun meine Feststellungen und Nachforschungen gegen die
Geschichte die im Ausstellungskatalog verbreitet wurde.
Ein Anruf beim Direktor des Museums brachte dann diese Peinlichkeit als ein
versehen des Museums und ein vertauschen zweier Motorrad Biografien ans Tageslicht.
:-(
Man hatte die Herkunft einer Harley Davidson beschreiben wollen, der Text wäre dann aber irrtümlich unter meine EMW R70 / AWO 700 platziert worden.